Gesellschaft der Carlisten von 1877
"Und seine Hutschi Putschi auch daneben, es lebe das ganze Hutschi Putschi Haus"
Geschichte der Gesellschaft Carlisten
"Die Anfänge der Gesellschaft Carlisten reichen zurück bis in die ersten Jahre des so heiß entbrannten innenpolitischen Kampfes, der nach der Wiederaufrichtung des Deutschen Kaiserreiches den politischen Streit der Meinungen und Anschauungen auch auf dem Boden des gesellschaftlichen Lebens lebendig werden ließ", so begann Dr. Aloys Dieckmann 1927 und 1952 seine Festschrift zum 50jährigen und 75jährigen Bestehen der Gesellschaft.
Die unliebsamen Ereignisse der mehr als bewegten Zeit des Kulturkampfes in den Jahren 1870 bis etwa 1895 muß man berücksichtigen, wenn man die Gründung der neuen Gesellschaft Carlisten verstehen will. Notwendig war sie an sich nicht; denn Münster hatte ein weitschichtiges und vielseitiges Gesellschaftsleben. Neben drei adligen Gesellschaften gab es den Civilklub und den Zwei Löwen Klub, zahlreiche Bruderschaften und weitere Gesellschaften, die sich teils bestimmten Anliegen, teils dem allgemeinen Gedankenaustausch unter Freunden verpflichtet fühlten. 1863 war die auch heute noch bestehende Gesellschaft "Vergnügtes Krokodil" gegründet worden, deren Zweck allein der gesellige Austausch unter Gleichgesinnten war.
Münster hatte 1875 die damalige Einwohnerzahl von rund 25 000 durch die erste Vergrößerung des Stadtgebietes auf 35. 563 steigern können.
Da die Carlisten Gesellschaft kein urkundliches Material über ihre Gründungszeit besitzt, war Aloys Dieckmann in seiner Festschrift angewiesen auf Beiträge, die ihm die damals noch lebenden ältesten Mitglieder: Oberpräsident Dr. Würmeling, Geheimrat Dr. Nottarp, Justizrat Dr. Greve, Geheimrat Dr. Schölling, Bürgermeister Lehbrink und Amtmann Hesse beigesteuert haben. So fand Dr. Hermann Nottarp als junger Referendar 1873 bereits einen Kreis von Referendaren und anderen Akademikern vor. Sie gehörten nicht der Gesellschaft "Vergnügtes Krokodil" an, wie gelegentlich behauptet wurde, jedoch pflegten sie zu den Krokodilern freundschaftlichen Kontakt und besuchten gegenseitig die Stammtische. Viele kannten sich schon von der Studienzeit her, waren zumeist CVer und vor allem KVer, hatten sich aber noch nicht zu einem Bund oder Verein zusammengeschlossen.
Das Gründungsjahr 1877
Das Jahr 1877 ist deshalb als Gründungsjahr angesetzt worden, weil sich die Vereinigung seit diesem Jahre als geschlossene Gesellschaft fühlte, in die der Neuling nun förmlich aufgenommen werden mußte. Irgendeiner aus der Runde sprach dann dazu die nötigen Worte. Auch vertraute man die Leitung einer besonderen Festkneipe einem Mitglied an, das besonders geeignet war.
Der Name
Der Name der Gesellschaft erinnert an die Kämpfe der katholisch monarchisch eingestellten Carlisten in Spanien, die unter Führung von Don Carlos gegenüber der liberalen, republikanischen Regierung Spanien war von 1873 bis 1875 Republik ihre Rechte durchsetzen wollten. Selbstverständlich hatte die junge Gesellschaft mit diesen Auseinandersetzungen im fernen Spanien nicht das geringste zu tun. Allerdings fand die Sache der Carlisten wie auch anderwärts in Münster warme Verfechter, wo ein Stammtisch älterer Herren bei ,Stienen' unter Führung des späteren Oberbürgermeisters Theodor Scheffer Boichorst mit lebhafter Anteilnahme den Kampf der Carlisten verfolgte.
Es ist wohl nicht zweifelhaft, daß der jungen Vereinigung von einer ihr gerade nicht freundlich gesinnten Seite der Name gegeben wurde. Die also Gezeichneten hatten keinen Anlaß, den ihnen ironisch beigelegten Namen abzulehnen, kamen vielmehr gerade dadurch um so eher zu einem Gesellschaftsnamen, den sie auch selbst bald übernommen haben.
Der anfangs noch kleine Zirkel tagte im Restaurant Stieger' am Alten Fischmarkt 20, wo er sich keineswegs streng abschloß gegen Herren, die sich nicht offiziell dazu rechneten. So brachte der derzeitige Regierungsbaumeister Petri regelmäßig seinen Freund Max Grube mit, der auf der münsterschen Bühne "sich damals die ersten Sporen verdiente". Der berühmt gewordene "Meininger" hat in seinen Lebenserinnerungen liebevoll des großen Humoristen Nottarp aus dem Stiegerschen Kreise gedacht, "der in frohem Jugendsinn durch seine humoristische Redekunst die Hörer in seinen Bann hat ziehen können".
Bei, Stieger' fanden sich auch befreundete Krokodiler ein, wie umgekehrt Carlisten am Stammtisch des Krokodils verkehrten. Überhaupt hatten Carlisten und Krokodiler manches gemeinsam: Nicht nur daß sie alle jung waren und in der Mehrzahl Juristen, sie hatten auch das gleiche Ziel, nämlich die Pflege eines freundschaftlichen, heiter gelösten Verkehrs miteinander. Die alten Münsteraner, die damals noch sehr viel Plattdeutsch sprachen, unterschieden denn auch die beiden Gesellschaften so, wie es in der Festschrift des "Vergnügten Krokodil" aus Anlaß seines 100jährigen Bestehens im Jahre 1963 heißt: "Alls, wat in't Krokodil iss, dat süppt, dat spiellt un hät kiene Religion. Dee Carlisten, dee süppt ja auk un spiellen daoht se auk mankstens, aower de gaoht doch weinigstens Sunndags in de Kiärke." Dabei ist es wohl richtig, daß worauf auch in der Festschrift hingewiesen wird, aus der Tatsache heraus, daß Münster zu dieser Zeit überwiegend katholisch war, die Münsteraner nur die katholische Konfession als Religion gelten ließen.
Der für münstersche Verhältnisse ungemein kalte Winter 1875/76 bot nach Dr. Würmeling außerordentlich lange Gelegenheit zum Schlittschuhlaufen auf den überschwemmten Aawiesen bis Haus Kump. "Hier entwickelte sich dann auch ein ungezwungener, lebhafter Verkehr mit jungen Damen der münsterschen Gesellschaft, mit denen sich die Carlisten dann wiederum auf den Bällen des Civilklubs zu besonderen Gruppen zusammenfanden. Waren die Carlisten doch lauter junge Leute voll frischer Lebenslust und ungebrochener Lebensfreude." Lebensfreude hieß für die einen eher gemütlicher Verkehr unter Herren; für andere Zusammensein bei Tanzfesten mit Damen.
Das älteste Carlistenbild, das 1878 in Handorf gemacht wurde, zeigt 38 Mitglieder, darunter 30 Referendare. Bemerkenswert ist, daß von diesen ersten 38 Mitgliedern nicht weniger als 28 Abiturienten des Gymnasium Paulinum aus den Jahren 1870 bis einschließlich 1875 waren.
In dem Kreis, in dem ein natürlicher, herzlicher Ton herrschte, gab es keine Satzungen, keine Ämter, keinen Vorsitzenden. Das Gefühl der inneren Zusammengehörigkeit war einzig bestimmend. Später aber, als die Gesellschaft größer wurde, ergab sich die Notwendigkeit, gewisse Amter einzuführen wie den Präsidenten, den Schriftführer und den Schatzmeister. Eine Satzung hat die Gesellschaft jedoch bis heute nicht. Wenn auch eine gewisse Voraussetzung für die Aufnahme der Abschluß eines Universitätsstudiums mit bestandenem Examen ist, so sind von dieser Regel doch immer wieder Ausnahmen gemacht worden. Zu keiner Zeit war die katholische Konfession Voraussetzung für die Aufnahme, So war ein sehr beliebtes Mitglied der früh verstorbene Referendar Smend, der Sohn eines evangelischen Konsistorialrates. Zu den wenigen Protestanten gehörte später der Präsident der Jahre 1939 1947, Helmut Stockey.
Man traf sich meist nachmittags um 2 Uhr unterm Bogen oder am Servatiiplatz zu Spaziergängen und Kaffeeausflügen oder zum Kegeln bei Frönd auf Mauritz, Ecke Warendorfer Straße /Hohenzollernring. Um 6 Uhr spätestens war man wieder zurück, um seiner Arbeit nachzugehen. An Sonn und Feiertagen kam man zum Abendschoppen bei ,Schwarz' auf dem Alten Steinweg zusammen, in dem ehemaligen Münsterschen Hofe, der 1797 vom Weinhändler Carl Nölcken begründet, bis zur Errichtung des "Königs von England" 1840 der vornehmste Gasthof der Stadt gewesen war. Stieger' reichte längst nicht mehr aus.
Ehrung der Namenstagskinder
Nun kam auch die Gewohnheit auf, die Namenstage zu feiern. Das Namenstagskind mußte 45 Biermarken auf den Tisch des Hauses legen. Ein bestandenes Examen, eine Verlobung wurden ebenfalls Anlaß zum Feiern. Bei Wachsen der Gesellschaft wurde dann die Gabe des Namenstagskindes durch einen festen Beitrag ersetzt, den jedes in Münster wohnende Mitglied zu entrichten hat. Gefeiert werden die Namenstage aber nach wie vor.
Die Namenstagskinder des jeweiligen Monats werden auf jeder Monatsversammlung besonders genannt und geehrt. Bei den vierteljährlichen gemeinsamen Essen wird ihnen zur Ehre ein feierlicher Salamander gerieben, der mit dem Jubellied "Hoch soll'n sie leben, dreimal hoch!" endet. Dabei ist zu erwähnen, daß dem bekannten Lied der Vers angefügt wird: "Und seine Hutschi Putschi auch daneben, es lebe das ganze Hutschi Putschi Haus."